Solange das Eisen heiß ist

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Anarchistische Analyse der Revolte in Québec

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Dies ist der zweite Teil einer zweiteiligen Serie; für eine chronologische Darstellung der hier analysierten Ereignisse lies Solange das Eisen heiß ist. Studentenstreik und Sozialrevolte in Québec, Frühjahr 2012

Um die Chronologie zu vervollständigen, stellten wir unserem Korrespondenten aus Montreal folgende Fragen, die er unter Mitwirkung anderer Teilnehmender des Printemps érable beantwortete. Das Interview schließt mit einem Epilog, der die Ereignisse auf den letzten Stand bringt, zur Zeit, als die Sammlungsbewegung begann, um die Wiederaufnahme des Semesters zu blockieren.

Man muss berücksichtigen, dass unsere Berichterstattung sich fast ausschließlich auf Ereignisse in Montreal konzentriert, während der Streik Auswirkungen auf die gesamte Provinz von Québec hatte. Der Streik hat sich in dieser Stadt, einer multilingualen und ausgedehnten Metropole mit dutzenden überlappenden anarchistischen Szenen und einer gegenüber dem Rest der Provinz reichen Geschichte antikapitalistischen Widerstandes, anders entwickelt. Viele Anarchisten und andere Radikale bewohnen eine begrenzte Anzahl von Vierteln in einem Ring um die Innenstadt von Montreal, was sie zu einem wichtigen Unruheherd für den Kampf macht.

Wie haben sich im Laufe des Streiks militante Straßentaktiken entwickelt und um sich gegriffen? Was können Anarchisten anderswo in Nordamerika davon lernen?

Wenn man über die Taktiken diskutieren will, die von Militanten in den Straßen von Montreal und sonstwo in Québec eingesetzt wurden, und darüber redet, wie sie sich geändert haben, wird oft gesagt das die Taktik im Laufe der Zeit eskalierte, und wann immer die Sache befriedet war, wird impliziert, dass die Taktik deeskalierend war. Ganze Demonstrationen, einige davon waren unglaublich groß, werden als konfrontativ oder als nicht-konfrontativ beschrieben. Diese Art der Sprache ist jämmerlich ungenau. Diese Ausdrücke können nicht mehr als ein Gefühl rüber bringen, die Stimmung des Augenblicks, sie lassen aber die spezifischen Mechanismen der Vorgänge undurchsichtig.

Hier soll nicht argumentiert werden, dass Taktiken nie in einer Art losen konzeptuellen Hierarchie aufgereiht werden können, von jenen die weniger effektiv sind, um dem Eigentum oder denen die es verteidigen, Schäden zuzufügen, – und folglich mit weniger Risiko verbunden sind – zu jenen, die riskanter und effektiver sind. Zum Beispiel von geringer zu größerer Intensität:

  1. Den Riotpolizisten den Mittelfinger zeigen,
  2. Steine auf sie zu werfen,
  3. Molotowcocktails auf sie zu werfen.

Die Kategorisierung ist willkürlich und variabel, Intensität ist nicht strikt definiert, es kann jedoch nützlich sein, so über Taktik zu denken.

Verglichen mit den meisten anderen nordamerikanischen Städten, ist in Montreal die Verwendung von bestimmten Taktiken von Straßenkämpfern – einschließlich Anarchisten, Maoisten und Hooligans, deren Politik nicht genau definiert ist – normaler und wird weniger in Frage gestellt. Das war der Fall, lange bevor der Studierendenstreik im Februar begann. Schwarzer Block und Masken, der Bau von Barrikaden oder einfach nur das Werfen von Leitkegeln auf die Straße, das Schmeißen von Steinen und anderen Projektilen, Entglasungen und die Plünderung von Geschäften… wenn eine Einwohnerin aus Montreal hört, dass ein Hockeyriot stattgefunden hat, kann sie eine begründete Vermutung anstellen, welche dieser Taktiken verwendet worden sind, bevor sie die Details kennt. Dasselbe gilt für Tage wie den 15ten März oder den ersten Mai, bei reformistischen Demos, bei welchen Anarchisten es für Wert erachten, zu intervenieren, und für spontane Demos, die erfolgten, nachdem die Polizei jemanden ermordet hat.

Man muss akkuraterweise sagen, dass im Verlauf des Streiks, eine signifikante Zahl von Teilnehmenden mit diversen politischen Hintergründen ihre Straßentaktiken auf dasselbe Level ausweitete wie die davor genannten Anarchisten, Maoisten und Hooligans. Während des ganzen Februars und März’ oder auch bei früheren Demonstrationen, wie der am 10ten November 2011, waren Anarchisten, die Schwarzer-Block-Taktiken einführten oder Masken trugen, oft die einzigen, die die Polizei physisch konfrontierten und Eigentum von Kapitalisten zerstörten. Dies ließ sie gegenüber vielen anderen Leuten befremdlich und isoliert dastehen. Wenn auch die Spannung zwischen den Pazifisten und den Straßenkämpfern nicht verschwand, waren die Straßenkämpfer nachher um einiges zahlreicher, und manche von ihnen liefen mit riesigen fleur-de-lysé Fahnen herum – ein sicheres Zeichen, dass andere als „die üblichen Verdächtigen“ den Kampf gegen die Polizei aufnahmen.

Auf der anderen Seite wäre es inakkurat, zu behaupten, dass Anarchisten im Ganzen ihre Praxis der Straßenkämpfe ausgeweitet hätten. Seit Beginn des Streiks haben Anarchisten die gleichen Sachen getan wie sonst auch immer, der Unterschied ist, dass sie es öfter tun. Jedes Jahr gibt es in Montreal reformistische Demos, bei denen Anarchisten den von den Organisatoren aufgezwungenen Verhaltenscode in Frage stellen, antikapitalistische Demos bei denen die einzigen, die den anarchistischen Straßenkämpfern Grenzen aufzwingen wollen, die Polizisten sind, und spontane Bekundungen der Wut, wenn die Polizei etwas besonders abscheuliches tut. Der Streik hat alle drei Typen von Ereignissen in einer viel größeren Frequenz hervorgerufen, als sie andernfalls auftreten, die Herangehensweise der Anarchisten an jedes dieser Ereignisse war im Wesentlichen immer dieselbe.

Um konfrontativ zu sein: Es ist auch inakkurat, zu sagen, dass die Bewegung im Laufe der Zeit konfrontativer geworden sei, da es – ob sie erfolgreich waren oder nicht – schon im Februar und im frühen März Versuche gab, Brücken und Autobahnen zu blockieren. Was passierte ist, dass bei dem Kongress von CLASSE im März die Entscheidung getroffen wurde, als Organisation konfrontativere Taktiken zu adaptieren – nachdem ein paar ihrer Hauptmitglieder schon über Wochen so eine Strategie verfolgt hatten. Dies bedeutete einfach, dass es mehr Ressourcen für diejenigen gab, die konfrontative Aktionen organisierten, was zu einer größeren Frequenz und Diversität von Zielen führte: dem Hafen, der staatlichen Alkohol-Distributions-Firma „depot“ und gelegentlich Hochhäusern in der Innenstadt oder Veranstaltungen wie dem Salon Plan Nord. An den Campusen war die Intention der Campus-und Klassenzimmerblockaden vielerorts von Anfang an, niemanden hineinzulassen, aus welchen Gründen auch immer. Und die Leute nutzen alle Taktiken, die für das Erreichen dieses Ziels nötig waren.

Man kann argumentieren, dass im Laufe der Wochen, Militante ihre Ziele allmählich intelligenter ausgewählt und ihre Pläne geschickter durchgeführt haben. Aber obwohl sie versucht haben, konfrontativer zu sein, war die Sache einfach zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich und variierte zwischen verschiedenen Leuten. Der Waffenstillstand zwischen den Anführern von CLASSE und der Regierung, der Verlust von Francis Greniers Auge, die Erfahrung, Bullen in Angst vor einem davonlaufen zu sehen… all das hat sich in komplexer Weise auf den Mut und die Wut verschiedener Teilnehmer in der Bewegung ausgewirkt und trug manchmal zu einer konfrontativeren Attitüde bei.

Nachdem das alles gesagt ist: Es gab auch manche Neuerungen auf den Straßen. Zum einen, brachten Straßenkämpfer vermehrt Werkzeuge mit – genauer Hämmer –, mit denen Projektile aus Montreals bröckelten Straßen gemacht wurden, anstatt Steine und andere Projektile zu suchen. Zum anderen haben die Straßenkämpfer begonnen, laut zu zählen, um ihre Anstrengungen zu koordinieren, sei dies bei dem Versuch, aus einem Kessel auszubrechen – was am 20ten Mai funktionierte –, oder um Steine auf die Polizei zu schmeißen.

Eine weitere Neuigkeit waren Schilder, welche in den letzten Jahren vor dem 10ten November 2011 selten auf Demonstrationen gesehen wurden. Das gebräuchlichste Schildformat ist, eine Kombination aus Plexiglas, Platten, Schaum, Pappe und Chlorophyll – das Zeug aus dem Wahlschilder gemacht sind – zusammen zu bohren. Die Idee, sie so anzumalen, dass sie wie die Cover von politisch soliden Büchern von Der kommende Aufstand bis zu 1984 aussehen, kam aus Rom, wo Ende 2010 Studenten diese Taktik während der Demonstrationen gegen die Sparmaßnahmen genutzt hatten, nach Montreal. Auch wenn die Schilder ihr Versprechen hielten, besonders, wenn sie aus robustem, leichtem Material gemacht werden, wie die Schilder der aufständischen Streikenden im Nordwesten Spaniens, ihr tatsächlicher Gebrauch war aufs Geratewohl und es ist fragwürdig, wie sinnvoll sie bei sich schnell bewegenden Demos auf den Straßen von Montreal wären. Sie waren nützlich auf den offenen Feldern von Victo, und sie wären am 20ten April nützlich gewesen, wenn sie jemand mitgebracht hätte; an beiden Tagen hatten beide Seiten fixe Positionen und es gab weniger Nahkämpfe und mehr Gummi- und Plastikgeschosse. In einer Situation wie am ersten Mai ist es andererseits unklar, wie Schilder – die meistens nicht von den stärksten Leuten getragen werden – gegen die unerbittlichen Wellen der Riot Cops nützen könnten. Bislang wurden Schilder vor allem für symbolische Absichten eingesetzt: Sie werden meistens auf passiven Demos wie am 22ten März getragen, vielleicht ist dies ein Versuch, dem Karneval von fleur-de-lysé Flaggen und Pappemaché-Puppen einen Hauch von Militanz hinzuzufügen.

Es gab auch interessante Entwicklungen, hinsichtlich der Ereignisse auf den Straßen. Besonders, nachdem das neue Sondergesetz verabschiedet wurde, wurden Menschen in Schwarzer-Block-Kleidung – und das, was die Medien als Schwarter-Block-Kleidung präsentierten, wie z.B. jeder, der eine Maske trug und vage „anarchistisch“ aussah – häufiger von anderen in den Straßen angesprochen und gelobt: „Du bist so mutig, solche Sachen zu machen“. Es gibt jetzt viel größere Solidarität zwischen den Leuten, die angezogen sind, um zu kämpfen, und jenen, die es nicht sind, darunter mehrere Fälle, in denen nicht vermummte Menschen sich selbst in Gefahr brachten, um Straßenkampfgefährten aus den Klauen der Polizei zu ziehen. Es gibt sogar einen Sprechchor im Sportfanstyle – ALLEZ LEZ NOIRS! – was wörtlich (und grauenhaft) ins Deutsche übersetzt heißt „Vorwärts Schwarze!“. Mengen von hunderten von Leuten haben diese Worte aus voller Lunge geschrien.

Es wird jetzt allgemein verstanden, dass es eine gute Idee ist, in fast jeder Situation Barrikaden zu bauen. Dies hat gelegentlich zu sehr guten Barrikaden geführt, welche aus großen Mengen von Geröll, Baumaterial, losen Möbeln von nahen Cafés bestanden und immer öfter aus – Feuer. Allerdings haben die Leute öfter einfach ein oder zwei Sachen auf die Straße gezogen und keiner hat sich angeschlossen. Manchmal hat jemand Müll auf die Strassen gekippt, ohne überhaupt nach Wurfgeschossen zu suchen, sondern scheinbar im Glauben, dass dies auf magische Weise Polizeifahrzeuge aufhalten würde. Es ist eine Sache, wenn man keine Zeit zu hat, effektive Barrikaden zu bauen, oder nicht in der Lage ist, andere dazu zu bewegen, einem zu helfen. Aber etwas zu tun, was keine Auswirkung auf die Polizei hat, während es die Strassen für die Leute, die dort Leben, noch widerlicher macht und sie dabei unnötigerweise verdrießt – das ist eine völlig andere Angelegenheit.

Der Riotpolizei ist es möglich, ihre Interventionen durchzuführen, da sie sich frei durch die Seitenstraßen bewegen kann, jedoch würde eine weiter verbreitete Praxis, starke Barrikaden beim Erwachen einer Demo zu errichten, nicht nur das normale Funktionieren des Kapitalismus stören, sondern auch erfolgreiche Polizeiinterventionen viel schwieriger machen, besonders, wenn die Geschwindigkeit der Demos zunimmt. Montreal wäre ein guter Ort, um Taktiken einzuführen, die von europäischen Straßenkämpfern genutzt werden: Umgeworfene Müllcontainer und luxuriöse Autos, die auf die Straße gezogen oder geschoben werden, können die die Polizei viel effektiver aufhalten als ein paar Leitkegel.

Es gab auch einen zunehmenden Gebrauch von Molotowcocktails, was bei Konfrontationen auf den Straßen von Nordamerika eine lange Zeit kaum vorkam. Ihr Einsatz war sporadisch, und es ist unklar, welche Schlüsse daraus gezogen werden können. Es ist in jeden Fall wichtig, zur Kenntnis zu nehmen, dass manche Menschen jetzt bereit sind, bis zu diesem Punkt zu gehen.

Zunächst trugen sehr wenige Menschen Masken oder Schutzbrillen auf den Straßen, jedoch die Erfahrung von Polizeibrutalität und der explizite Aufruf von CLASSE zur direkten Aktion und zur Ökonomischen Störung änderten dies sehr schnell. Was immer eine kleine Minderheit gewesen war, wurde bei vielen Demos zur Mehrheit der Teilnehmenden. Alles, was es brauchte, war eine kritische Masse von Leuten im März und April, die sich durch Anstrengungen vergrößerte, die Normalisierung dieser Praktiken verbal zu unterstützten, sei dies durch die Verteilung von Texten oder die explizite Empfehlung von CLASSE bei der Grand Masquerade am 29. März.

Zusätzlich zum explosionsartigem Anstieg des Gebrauchs von Masken und Schutzbrillen gab es eine signifikante Zunahme von schwarzer-Block-Kleidung durch andere Militante, gerade als viele erfahrenere Straßenkämpfer begannen, sich stattdessen für den „Light-Bloc“ zu entscheiden. „Light Bloc“ bedeutet, andere Klamotten zu tragen, als normalerweise und sein Gesicht und andere identifizierende Charakteristika zu verbergen, aber nicht zu versuchen, ein uniformes Aussehen zu erreichen. Das in der Hoffnung, dass individuelle Straftaten nicht irgendwem angelastet werden, der geschnappt wird, wenn Verhaftungen stattfinden, bevor die Menge sich auflöst. Der Grund ist, dass der Light Bloc den Straßenkämpfern ermöglicht, effektiver in einer bunten Menge zu verschwinden als in Schwarzer-Block-Kleidung, was Straßenkämpfer davor bewahrt, als Außenseiter zu erscheinen. So ziehen sie keine präventive Polizeiaufmerksamkeit auf sich. Eine Lehre, die viele lokale Anarchisten aus der Demo vom zwölften März 2011 zogen – als Individuen in Schwarzer-Block-Kleidung gezielt präventiv verhaftet wurden – ist, dass man skeptisch sein sollte, die Schwarzer-Block-Taktik zu oft zu benutzen oder zu fetischisieren. Viele waren schon davor skeptisch, jedoch danach verschwanden die schwarzen Blöcke praktisch bis Februar 2012, wohingegen sie zuvor regelmäßige Merkmale von antikapitalistischen Demos waren.

Manche erfahrene Straßenkämpfer im anarchistischen Milieu standen dem neuen Verhalten, regelmäßig Schwarz in den Straßen zu tragen, kritisch gegenüber. Sie wiederholten die konstruktive Kritik, die nach einem Versuch bei einem Generalstreik in Oakland am 2ten November 2011 geübt wurde. Diese Angewohnheit trennt Straßenkämpfer von jenen um sie herum – was wohl das konfrontative Verhalten hemmt, anstatt es zu verbreiten –, ohne maßgeblich die Fähigkeit aller zu verbessern, die Polizei zu konfrontieren, vor allem seit es reichlich Beweise dafür gibt, dass Leute das Gesetz brechen und davon kommen können, ob sie nun Schwarz gekleidet sind oder nicht. Da die Straßenkämpfer in dieser Stadt schlecht darin sind, zusammenzubleiben, ist es für isolierte schwarz tragende Individuen nicht ungewöhnlich, in der Masse zerstreut zu werden, was unnötig gefährliche Situationen schafft.

Schlussendlich gibt es immer noch nicht genug Kommunikation unter den Kämpfenden auf den Straßen. Leute halten sich die meiste Zeit an ihre eigenen Gruppen; verschiedene Gruppen bleiben kaum für eine längere Zeit in einer sich bewegenden Demo zusammen, und es ist möglich, dass viele Fighter nicht wissen, was sie anderen sagen sollen, wenn sie sie auf der Straße sehen, oder wie sie es ihnen sagen sollen. Sogar, wenn klar ist, dass es wichtig wäre, Informationen zu verbreiten, ist es nicht klar, welche Information zu welchem Zeitpunkt verbreitet werden sollte. die Realität sozialer Unbeholfenheit ist nicht von der Hand zu weisen. Die Leute tendieren genauso wie in einer Kneipe oder auf einer Party dazu, eher mit ihren Freunden zusammenzukleben, als sich herauszuwagen, um neue Leute kennenzulernen.

Das wird alles besser, wenn auch zu langsam. Eine Veränderung besteht darin, dass jetzt, wenn Kämpfer Steine in Fenster schmeißen, während auf der anderen Seite der Scheibe Menschen sind, öfters andere an sie mit dem Vorschlag herantreten, doch stattdessen einen Hammer oder ein Stück Metall aus dem Müll zu benutzen. Wenn einige von hinten schmeißen, erklären andere, dass es besser ist, nach vorne zu gehen und sicherzustellen, dass nur der beabsichtigte Schaden angerichtet wird.

Es gibt auch eine zunehmende Debatte, ob kleinere ökonomische Schäden, die durch was auch immer für belanglose Sachzerstörungen verursacht werden, sich lohnen. Letzten Endes werden natürlich die Individuen selbst darüber entscheiden. Diese Debatte spiegelt die Unterstellung, dass einige Anarchisten dazu tendieren, den Erfolg einer Aktion nur daran zu messen, wie viele Scheiben zerbrochen wurden, wie viele Polizeiautos abgebrannt sind und so weiter. In jedem Fall war der Streik nach einem solchen Maßstab ein uneingeschränkter Erfolg. Statt jene zu kritisieren, die so denken – oder jene, die diese Karikatur erschaffen –, könnte man einfach akzeptieren, dass es berechtigte Gründe gibt, Sachschäden bei Kapitalisten zu beklatschen und anzuerkennen, dass die weitere Verbreitung und häufigere Anwendung von Taktiken, die dies leisten – so passiert in Montreal seit Februar – ein lobenswertes Ziel ist.

Da wir gerade dabei sind, abstrakte Hypothesen aufzustellen: Wie können Anarchisten diese Art von Chaos, das vor kurzem über Montreal geschwappt ist, in ihren eigenen Städten begreifen?

Darauf gibt es keine einfache Antwort. In Montreal sind bestimmte Anarchisten seit Jahren damit beschäftigt, dafür zu sorgen, dass gegen die vom Staat – hauptsächlich von der Polizei – und manchmal auch von den Organisierenden, von Bewegungspolitikern oder der Peace Police bei Demonstrationen aufgezwungenen Grenzen, verstoßen wird. Es ist wichtig, dies als ein infrastrukturelles Projekt zu sehen. Dazu gehört das Beschaffen und Bauen von Materialien, das Sammeln und Zergliedern von Information, das Schmieden von Plänen und das Entwickeln von strategischem Scharfsinn. All dieses Organisieren schafft und repliziert eine Tradition: Die Konfrontation mit der Polizei ist jetzt in Montreal normalisiert, mehr als in den meisten nordamerikanischen Städten. Doch soviel Anstrengung, Energie, und Leidenschaft es auch immer gebraucht hat, Realität ist, dass die sich von allen benachbarten Städten unterscheidende politische Kultur in Montreal, dies erleichtert hat. Diese Kultur könnte nicht existieren ohne die einzigartige Geschichte Québecs der letzten fünfzig Jahre; sie kann nicht einfach woanders wiederholt werden.

Wo auch immer eine militante politische Kultur herkommt, wie auch immer sie kultiviert wird: Anarchisten sollten nach jenen zu suchen, die zum Kampf bereit sind. In Québec beinhaltet das die Studenten, besonders die Studenten, die sich in gewisser Weise an der Kampagne von CLASSE gegen die Regierung, beteiligt haben. In vielen Teilen von Nordamerika scheint es, dass Universitätsstudenten – wie politisiert sie auch scheinen – im Allgemeinen nicht gewillt sind, ihre Politik in irgendeine Aktion zu übersetzten, welche sich auf ihre Karriereaussichten oder ihre Wochenendplanung negativ auswirken könnte. Wenn Anarchisten sonstwo – viele von ihnen selbst Studenten – ihre Städte explodieren sehen wollen wie Montreal, sollten sie vielleicht damit beginnen, Verbindungen zu Leuten zu suchen, mit denen es vielleicht etwas schwieriger ist, diese aufzubauen, zumindest anfänglich.

Welche Formen hat die staatliche Repression angenommen? Und wie sind die Teilnehmenden ihr entgegengetreten?

Die natürliche Antwort des Staates auf Widerstand ist Repression. In Québec gab es Widerstand auf vielen verschiedenen Ebenen und dementsprechend hat die Repression eine Vielzahl von Formen angenommen.

Wir können hier drei Kategorien von Repression benennen: die Taktik, die die Schulverwaltungspersonen benutzt haben, um Studenten von unangebrachten Sachen abzubringen; die physische Gewalt, die die SPVM und die SQ gegen die Leute auf den Straßen entwickelt haben; und die Auflagen, die Québecs Gerichtsbehörden, in Kollaboration mit der Polizei und der Regierung, genutzt haben, um Leute daran zu hindern, zukünftig weitere Aktionen auszuführen.

Die Politik der Verwaltenden variiert von Schule zu Schule. Während viele Schulen – besonders die anglophonen Institutionen – von entschiedenen Neoliberalen verwaltet werden, ist es möglich, dass manche Verwaltende in irgendeinem Sinne linker sind. Im Allgemeinen haben die Verwaltenden sich entschieden, ihren Job ohne Rücksicht zu verrichten und jede Tendenz zu direkter Aktion unter ihren Studierenden zu kontrollieren und zu unterdrücken. Manche haben ihren Job weniger enthusiastisch und weniger effektiv getan, sie sind jedoch keine Verbündeten – weit davon entfernt.

Viele Schulen haben Studenten mit einer Vielzahl von akademischen Konsequenzen gedroht und mit andere Strafmaßnahmen, vom Ausschluss bis zu einer bestimmten Menge von gemeinnütziger Arbeit. Diese Maßnahmen beinhalten, Jugendliche durchfallen zu lassen, sie zu verweisen, ihnen von der Universität gezahlte Jobs zu kündigen, temporäre Verbannungen vom Campus und die Auferlegung von Bußen – kurz, sie raus zu drängen oder Druck auszuüben, bis sie von selbst gehen. Da es eines der Ziele der Sparmaßnahmen ist, das weiterführende Bildungssystem zu schrumpfen, ist jeder Rückgang bei den Studierendenanmeldungen willkommen. Die Universitäten können weniger Schmerzen zufügen als die Gerichte. Allerdings haben Verwaltende – deren Rolle man mit der der Polizei vergleichen kann, da sie daran beteiligt sind, das normale Funktionieren des Kapitalismus zu ermöglichen – öfter mit Polizeiermittlern kollaboriert, um Verurteilungen gegen Militante zustandezubringen. Ihre Aktionen haben Einfluss auf die Familien der Leute, ihre Brieftaschen, und in manchen Fällen auf den Aufenthaltsstatus in Kanada. Selbst wenn man unsere Kritik an der Schule und an dem von den Akademikern geführten seelenlosen Mittelschichtsleben nicht vergisst, sollte klar sein, dass es unakzeptabel für die Leute ist, sich von diesen belanglosen Autoritätspersonen ihr Schicksal bestimmen zu lassen.

Verschiedene Schulen, besonders in Concordia und McGill, gaben Hunderttausende Dollar für extra Security aus, um ihre Campuse zu beschützen. Wegen des Themas der privaten Sicherheitsdienste gab es oft eine Rethorik mit dem Ergebnis, dass private Sicherheitsleute nicht auf dieselbe Weise unsere Feinde wären wie die Polizei, dass viele von ihnen hart arbeitende Migranten wären, die nur ihren Job machten, und dass mit ihnen Kämpfe anzufangen keine gute Idee sei. Das ist lächerlich. Private Sicherheitsdeppen haben eine entscheidende Rolle gespielt, um Informationen für die Verwaltenden und die Polizei zu sammeln – und wie die Polizei haben sie oft Leute verletzt und sind damit davongekommen.

Lasst uns jetzt die repressiven Taktiken der Polizei besprechen.

„Wir sind nicht für die Schaffung eines Polizeistaates; wir wissen, dass es nötig ist, mit der Bevölkerung zu arbeiten und Verbindungen zu schaffen. Aber dafür gibt es Gruppen. Unser Job als Polizeibeamte ist Repression. Wir brauchen keinen Sozialarbeiter als Chef, wir brauchen einen General. Schlussendlich ist die SPVM eine paramilitärische Organisation – lasst uns das nicht vergessen.“

Dies sind die Worte von Yves Francoeur, dem Vorsitzenden der Montrealer Polizeigewerkschaft, gesagt 2008 während einer Rebellion in Montréal-Nord. In Anbetracht dessen, dass die Arbeiter-Arbeitgeber Beziehung bei der SVPM nicht besser sein könnte, kann man sich vorstellen, dass dieses Statement das Verständnis der gesamten Führung über ihre Rolle widerspiegelt. Von Anfang an und sogar, bevor der Streik begann, hat die Montrealer Polizei sich der Studierendenbewegung mit einer Aufstandsbekämpfungsstrategie genähert.

Der konzeptuellen Hierarchie des britischen Imperialisten Sir Frank Kitson entsprechend, hat ein Aufstand drei Stadien. Im ersten Stadium stellt er keine wirkliche Bedrohung dar und ist nur ein potentieller Aufstand; im zweiten Stadium stört er die Ökonomie, ist aber nicht ernsthaft bedrohlich; nur im dritten Stadium kann er wirklich die Regierung bedrohen. Der korrekte Ansatz für eine Aufstandsbekämpfungsmacht ist also die Bewegung umfassend zu überwachen während sie im ersten Stadium ist und seine Sicherheitspraktiken noch nicht sehr entwickelt sind, um sie so daran zu hindern, das zweite Stadium zu erreichen, und sie dann rücksichtslos zu zerstören, falls sie das zweite Stadium erreicht, in der Hoffnung die Bedrohung der staatlichen Sicherheit zu verhindern.

2012 schritt die Bewegung vom ersten Stadium in Kitsons Hierarchie auf das zweite Stadium. Die Antwort der SPVM war etwas eingeschränkter, als es von Kitson für die britischen Untertanen in Indien, Irland und Malaysia für geeignet gehalten wurde. Das ist wohl so, weil die Polizei von Montréal, anders als die Kolonialpolizei, oft Leute in gewählten Ämtern und die Gerichtsbehörden braucht, die ihre Pläne unterstützen – und die Letzteren haben oft weniger strategischen Scharfsinn. Dennoch war es von Anfang an das Ziel der Polizei, die Macht der Bewegung zu zerstören. Ursache dieser Macht ist erstens die Menge der Leute, die bereit sind, die Straßen zu nehmen, und zweitens der Willen vieler dieser Leute, die dem Protest aufgezwungenen Grenzen zu überschreiten. Der Ansatz der Polizei war es, Leute davon abzubringen, bestimmte Dinge zu tun, und im Wissen über die Wichtigkeit von Scharmützeln, Leute davon abzubringen, an Demonstrationen teilzunehmen, auf denen diese Sachen passieren, während den Leuten erlaubt wird, an passiveren Demos teilzunehmen.

Vielleicht war die Polizei am Anfang des Streiks ein bisschen zu zurückhaltend, da sie mit Studierenden umgehen musste. Es ist sinnlos, Annahmen über die kollektive Psychologie der SPVM zu machen, aber sie mögen ernsthaft geglaubt haben, dass die meisten der Studierenden gute Bürger sind und dass die Unruhen nur von anarchistischen Eindringlingen angestiftet waren. Das änderte sich schnell. Anstatt mit der Polizei zu kollaborieren, entschied sich die Studentenbewegung den Unruhestiftern einen Platz zu bieten; sehr bald konnte jeder der ein rotes Quadrat trug entsprechend als Unruhestifter behandelt werden.

Die Polizei machte während des ganzen Streiks reichlich Gebrauch von Pfefferspray und Schlagstockattacken, früh ergänzt durch Blendschockgranaten, die schon bald jede Demo charakterisierten; Plastik- und Gummischrot wurden sparsamer eingesetzt. Im Laufe der Zeit gingen die Autoritäten vom Versuch, die Demos zu kontrollieren, dazu über, sie aktiv mit der Polizei anzugreifen, erbarmungslose Offensiven, wie die die am ersten Mai, waren aber rar.

Es hat mehrfache Berichte über männlichen Polizisten gegeben, die weibliche Inhaftierte sexuell belästigt haben. Sie versuchten, den Verhafteten routinemäßig so viel Schmerz wie möglich zu bereiten; wenn sie die Taschen von Leuten durchsuchten, leerten sie Flaschen mit Wasser oder Zitronensaft über den Inhalt. Vieles davon wurde gefilmt, jedoch hat die SPVM eine gute PR und eine gute Beziehung zu den Massenmedien. Dass die Videos auf Youtube existieren, bedeutet nicht, dass es jemand sieht, und es scheint, dass nur jene, die die Polizei schon hassen, diese suchen. In jedem Fall gibt es große Unterstützung von bestimmten Teilen der Bevölkerung dafür, „den CLASSE-holes das zu geben was sie verdienen“, und wenn die Polizei den Ruf bekommt, brutal und unberechenbar zu sein, dann um so besser für sie.

Im Vergleich zur Rhetorik der Torontoer Polizei nach dem G20 Gipfel oder der Polizei von Vancouver nach dem 2011er Hockeyunruhen, sagen die Sprecher selten etwas wie „Wir werden alle fassen“. Sie wussten, dass dies eine unmögliche Aufgabe wäre. Stattdessen implizierten sie, dass sie alle bestrafen werden. Jeder, der auf die Straße geht, wird leiden, auf die eine oder andere Weise.

Zusätzlich dazu wurden ein paar Leute speziell anvisiert, um sie mit der vollen Kooperation der Crown (der Staatsanwaltschaft) und den Medien fertig zu machen.

Emma Strope, die zuerst während der Grande Masquerade am 29. März verhaftet und angeklagt wurde, wurde in den Nächten des 24. und 25. Aprils, den ersten zwei Nachtdemos, gezielt anvisiert. Als sie weit weg von der Demo von der Polizei verhaftet wurde, noch bevor diese zu einer illegalen Versammlung erklärt wurde, machten sie ihr klar, dass sie es auf sie abgesehen hatten und dass sie ihr Leben zur Hölle machen würden.

Die Polizei durchsuchte die Wohnungen von Roxanne Bélisle und François-Vivier Gagnon – Zwei der vier Leute, die sich bei der Polizei stellten, kurz nachdem ihre Gesichter in den Medien gezeigt worden waren, weil sie von der Polizei im Zusammenhang mit dem Rauchbombenzwischenfall am 10. Mai gesucht wurden. Das Haus von Yalda Machouf-Khadir wurde auch durchsucht. Die Polizei führte die Durchsuchung durch, um nach schwarzer Kleidung und Gegenständen zu suchen, die mit dem Angriff auf das Beauchamps Büro am 13. April oder den Geschehnissen an der Université de Montréal vom Tag zuvor in Verbindung gebracht werden könnten; sie endete darin, anarchistische Literatur und Flyer gegen die Polizei zu beschlagnahmen.

Ein Militanter, der mit Problemen zu kämpfen hatte, die nichts mit Politik zu tun haben – er war der erste, der den leblosen Körper seiner Schwester entdeckte, nachdem sie Selbstmord begangen hatte -, wurde am 11. Juni festgenommen, während er mit seiner Familie aus Montréal herausfuhr, um am Begräbnis seiner Schwester in Saguenay teilzunehmen. Es ist gemeinhin anerkannt, dass die SQ, die sein Auto auf der Fernstraße etwa eineinhalb Fahrstunden von der Insel entfernt herausgezogen hatte, seine Situation kannte und ihn im schlimmstmöglichen Moment herausgriff, um ihn zur Zusammenarbeit zu bewegen, versprechend, dass es ihm noch möglich wäre, am Begräbnis teilzunehmen, wenn er das täte.

Dies sind isolierte und besonders ungeheuerliche Zwischenfälle. Gewöhnlicheres Verhalten beinhaltete die Überwachung von „bekannten Aktivisten“ – immerhin gibt es viel zu viele davon, als dass das eine einfache Aufgabe wäre –, Anwendung von Kontaktverbotsauflagen oder Auflagen, die die Möglichkeit einer Person einschränken an Demonstrationen teilzunehmen und eine Auflage die bislang nur auf Emma Strople und zwei andere angewandt wurde: Exil. Diese drei Leute sind für alle Belange aus dem gerichtlichen Bezirk von Montreal verbannt – dazu gehört auch der größte Teil der Insel von Montreal –, außer wenn sie vor Gericht müssen. Alle drei haben hier für Jahre gelebt. Und sogar bevor sie Haftentlassungsauflagen bekamen, wie unterdrückend auch immer, wurde vielen Leuten die Möglichkeit einer Kaution verweigert und sie wurden für einen Zeitraum bis zu mehreren Wochen einbehalten.

Auf den Straßen hat die Polizei Zivilbullen eingesetzt, manchmal auch sehr viele, um die Verhaftung von Unruhestiftern zu erleichtern – und vielleicht, um sich die Kontrolle über die Spitze der Demonstration zu verschaffen, um sie in eine von der Polizeistrategie erwünschte Richtung zu lenken, obwohl dies schwierig zu bestätigen ist und auch nur Paranoia von einem Teil der Militanten sein könnte. Es wird normalerweise mehr als eine Gruppe von Zivilpolizisten geben, mit wenigstens einer Gruppe, die versucht, Informationen über jene zu sammeln, die Schwierigkeiten verursachen, und die gleichzeitig versucht, deren Positionen aufzuspüren. Eine weitere Gruppe folgt ihnen von der Demo aus, und oft macht dann eine dritte die Verhaftungen. Es gibt offensichtlich eine wachsende Sorge auf Seiten der SPVM, dass ihre Zivilbullen erkennbar sind und ernsthafte physische Verletzungen auf den Straßen riskieren könnten.

Anarchisten haben darauf auf mehreren Wegen geantwortet, wenn auch inadäquat. Eine Sache, die Anarchisten gut gemacht haben, ist die Weiterführung der Tradition der Gefängnissolidaritätslärmdemos, was viel mehr Leuten erleichtert hat, an ihnen teilzunehmen. Am 29. März, gab es eine Demoaktion, die den normalen Ablauf am Palais de justice (ja, der Palast der Gerechtigkeit) aus Solidarität mit denen unterbrach, die sich mit der Besetzung am Cégep du Vieux in Verbindung stehenden Anklagen konfrontiert sahen. Am 28. April gab es eine Solidaritätsdemo mit 75 Leuten am Tanguay Frauengefängnis, wo Emma Strople zu dieser Zeit festgehalten wurde; das war vielleicht eine der größten Lärmdemos, die in Montreal bis zu diesem Zeitpunkt stattgefunden hatten. Am 16ten Mai gab es eine größere Demonstration, bestehend aus über 100 Leuten, die ihre Solidarität mit drei von vier Leuten ausdrückte, die wegen des Rauchbombenzwischenfalls am 10. Mai, festgehalten wurden, genauso wie für jedes andere Opfer von polizeilicher und gerichtlicher Repression während des Streiks.

Trotz dieser Anstrengungen hatte die Antwort der Anarchisten – und der Bewegung im allgemeinen – ernsthafte Mängel. Es gab keine beständige Kampagne, um Informationen über diejenigen zu verbreiten, die derzeitig mit den härtesten Konsequenzen von allen in der Bewegung konfrontiert sind. Es gab keine Botschaft, die darauf abzielte, dass, falls die Autoritäten damit durch kommen, diese Leute zu verfolgen, dies ihnen ermöglichen wird, dasselbe mit allen anderen zu machen. Das einzige, was passierte war, dass bei einigen isolierten Gelegenheiten ein paar mutige Leute sich angestrengt haben, die ihren Gefährten zugefügten Wunden zu rächen – so wie am 7. März als Militante die Straßen nahmen, um sich für Francis Greniers Auge bei der ersten Nachtdemo des Streiks zu rächen. Außerdem gab es Demonstrationen am Gerichtsgebäude und am Gefängnis aus Solidarität mit den Gefährten, die im Justizsystem verfangen sind. Beides davon ist gut. Leidenschaft ist wichtig. Wir müssen jedoch eine Strategie entwickeln, die die Leute wirklich unterstützen kann, eine Bewegung um sie herum aufbauen, die unsere Feinde bedrohen und sie davon abbringen wird, dies mit anderen auszuprobieren.

Wie wurden Entscheidungen während des Streiks getroffen? Wie haben Anarchisten sich in die Prozesse eingebracht oder interveniert? Was war anarchistisch in der Entscheidungsfindung während der Unruhen?

Wie auch immer sie sich manifestieren, als direkte Demokratie der Generalversammlungen, als repräsentative Demokratie von bestimmten Staaten oder anders, demokratische Ideale sind immer inhärent autoritär und somit konträr zu Projekten der Befreiung. Dies wurde wirkungsvoll an anderer Stelle ausgeführt. Man muss dieses Prinzip verstehen, um die anarchistische Partizipation im Streik zu nachvollziehen zu können.

Es gibt eine kraftvolle Tradition von direkter Demokratie an den frankophonen Campusen. Direkte demokratische Entscheidungsfindungsprozesse waren eine Schlüsselkomponente der linken sozialen Bewegungen der 1960er, welche den Staat herausforderten und die unter anderem die Schaffung des Cégep-Systems und die Univerité du Québec erzwangen. In den Jahren nach der sogenannten stillen Revolution bürokratisierte die neue politische Klasse des Québecer Wohlfahrtsstaat erfolgreich die Arbeitergewerkschaften und die von der Community initiierten Gesundheitskliniken; die Leute an der Macht misstrauten der Fähigkeit der Leute, Entscheidungen für sich selbst zu fällen. Diese Bürokratisierung war weniger erfolgreich in den Schulen, da Professoren weiterhin an radikaler Politik teilnahmen und Studierende eine autonome und militante Politikkultur entwickelten. Dies traf besonders in den Schulen in und um Montreal zu.

Viele Studierende stimmen zu, dass eine breit beworbene Generalversammlung die höchste Autorität dafür ist, was die Studierenden in dem Streik tun sollten, einschließlich dessen, was legitimerweise mit den Schulgebäuden gemacht werden kann. Wenn eine Generalversammlung für einen Streik stimmt, ist jeder Student verpflichtet, zu streiken. Wenn dafür gestimmt wird, dass das Gebäude besetzt werden soll, halten viele es für unanfechtbar, dass dies gemacht wird. Studentenverbände und besonders widerständige Lehrstühle haben mit ihrer Propaganda und dem Unterricht in den Klassenzimmern diese Ideen als Institutionen wiederbelebt.

Es gibt aber auch Opposition zu diesen Ideen aus dem inneren des studentischen Milieus, am sichtbarsten durch Studierende, die Charests Erhöhung der Studiengebühren unterstützen – viele von ihnen tragen aus Protest gegen den Streik ein grünes Quadrat. Sie sind grob gesagt äquivalent zu den Young Conservatives oder den Young Republicans in anderen Teilen von Nordamerika. Diese Leute würden argumentieren, dass „die meisten Studenten von vornherein Linke sind“ und dass die wirkliche radikale Position wäre – aufgepasst! – fiskalische Verantwortung auf den Campus zu tragen. Die Führung der liberalen Partei nachäffend, sind sie aus zwei Gründen gegen die Vollversammlungen. Erstens, da sie keine geheimen Wahlen durchführen, deshalb fühlten sich Studierende, die gegen den Streik sind, eingeschüchtert, ihre unbeliebten Meinungen auszudrücken; und zweitens, da die Vollversammlungen es nicht für nötig halten, sich an die Regeln des Gesetzes zu halten.

Anarchistische Kritiken an den Vollversammlungen sind derzeit weniger sichtbar – und, offen gesagt, weniger kohärent. Generell haben wir seit dem Beginn von Occupy Montreal im Oktober 2011 argumentiert, dass Vollversammlungen Orte sein sollten für Kommunikation und logistische Koordinierung und keine Quelle legitimer Autorität. Wie auch immer, manche Anarchisten rechtfertigen ihre Aktionen während des Streiks oft damit, dass sie mit demokratischen Entscheidungen bestimmter Vollversammlungen von Studentenvereinigungen in Einklang stünden. Dies ist besonders verbreitet unter Streikposten und anderen störenden Aktionen an den Schulen, wenn gegen Antistreikstudierende und die Fakultät auf Prostreikstudierende und ihre Unterstützer (inklusive Anarchisten) treffen und dabei oft miteinander reden oder sich gegenseitig anschreien.

Vielleicht sehen Anarchisten hier nicht den Widerspruch oder vielleicht benutzen sie zynische Worte, um ein Ziel zu erreichen, etwa die grünen Quadrate in einem Streit zu schlagen. So oder so ist klar: Diese Situationen sind nicht der beste Austragungsort, um eine vielschichtigere anarchistische Perspektive einzuführen, besonders, wenn dieser Blickwinkel darin besteht, dass jene, die sich mit unterschiedlichen Interessen im sozialen Krieg identifizieren, unvereinbare Feinde seien. Wenn wir jedoch Anarchisten sind und wir das wirklich denken, dann sollten wir das sagen!

Anarchisten, die zufällig auch Studierende sind, waren mit der größten Ernsthaftigkeit in den Generalversammlungen engagiert, sie sind manchmal sogar so weit gegangen, für „eine Stimme zu rocken“ und haben dabei kostbare Stunden ihres Lebens verbraucht, um Leute davon zu überzeugen, zu VVs zu gehen und für einen bestimmten Weg zu stimmen. Dies mag wie ein eklatanter Widerspruch wirken, aber es gibt einen qualitativen Unterschied zwischen dieser Art von Aktivität und, sagen wir, der Kampagnenmacherei von normalen linksradikalen politischen Kandidaten. Sogar, wenn Anarchisten alles verwerfen, was sie ausmacht, haben erfolgreiche Streikabstimmungen eine gesellschaftliche Wirkung; sie können einen Raum schaffen, in dem anarchistische Studierende sich in den Kampf einbringen können – durch das Gehen auf Demos, Verteilen von Literatur, die Sabotage der öffentlichen Verkehrssysteme und so weiter –, anstatt sich um ihre Studien zu sorgen.

Das war zumindest die Theorie. Bis jetzt haben erfolgreiche Streikabstimmungen nicht vor kollektiver Bestrafung, etwa der erzwungenen Rückkehr zum Unterricht oder der Drohung, ein Semester zu verlieren, geschützt – was zuallermindest teuer ist.

Anfängliche Versuche von Anarchisten, ihre eigenen Vollversammlungen zu organisieren, womit sie ein paar Wochen vor dem Streik begannen, funktionierten nicht wie geplant. Die Idee war, Anarchisten aus Montreals Myriaden an Szenen zusammenzubringen, festzustellen, was die verschiedenen Leute machen, um so Aktionen in einer strategischen Weise zu koordinieren. Es waren keinen offenen Versammlungen und ein Resultat davon war, dass sie schlecht besucht waren, nur ganz wenige Leute auftauchten. Viele Anarchisten fanden, dass es vielversprechender war, ihre Zeit und Energie außerhalb dieser Versammlungen zu verbringen, und man kann ihnen das schwerlich vorwerfen.

Es ist einfach zu behaupten, dass Anarchisten einen anhaltenderen und messbareren Effekt auf den Streik haben hätten können, wenn sie diesem Prozess des wechselseitigen Kennenlernens mehr Energie gewidmet hätten, um herauszubekommen, wie man kooperieren könne. Aber es ist eine simple Tatsache, dass die Leute zu diesem Zeitpunkt nicht bereit waren, zusammenzukommen, und sie sind es immernoch nicht. Die Straßenkämpfer Montréals sind in verschiedene Cliquen gespalten, und diese Trennung aufzuheben wird ein langsamer Prozess sein, wenn es überhaupt möglich ist.

Neuerdings, seit dem Beginn des Sommers, versucht CLAC antikapitalistische Versammlungen zu organisieren, um Raum für Kommunikation zu schaffen. Das ist eine gutes Unterfangen, soweit es einige gute Ergebnisse hervorbrachte, unter anderem mehr antikapitalistische Kontingente auf den landesweiten Demonstrationen und eine größere anarchistische Reichweite, etwa der Kampagne gegen die Wahlen.

Anarchistische Interventionen in Nachbarschaftsversammlungen – viele davon waren von Anarchisten initiiert – erfüllten die meisten Erwartungen. Jede Nachbarschaftsversammlung ist anders, jedoch haben viele von ihnen – einschließlich Mile End, Saint-Henri, Pointe-Saint-Charles, Hochelaga und Villeray – eine relevante Anzahl von anarchistischen Teilnehmenden. Sie zeigen eine anderen Organisationsweise, der in den unmittelbaren und pragmatischen Aspekten des Kampfes wurzelt und nicht auf einem angenommenen, gemeinsamen ideologischen Boden.

Epilog: Vorbereiten für die nächste Runde

Der Streik ist nicht vorbei, deshalb kann dieser Bericht keine saubere Schlussfolgerung haben. Nach dem Grand-Prix-Wochenende, als wir zu schreiben begannen, ist die Straßenpräsenz der Bewegung bis auf ein paar wenige Events zurückgegangen, es gab aber Entwicklungen an anderen Fronten. Militante sind nach nah und fern gereist, um die Neuigkeiten über den Kampf in Québec in anderen Teilen des Kontinents zu verbreiten. CLASSE hat strategische Treffen in jedem bevölkerungsreichen Wohngebiet in Québec organisiert und genauso in verschiedenen Städten in Ontario. Der Premierminister hat eine Wahl ausgerufen. Autonome Antikapitalisten haben ihren eigenen Aufruf gemacht: Sie wollen, dass vom 13. zum 17. August Leute nach Montreal kommen, um bei der Sabotage des Spezialgesetzes und des Starts des Spezialsemesters zu helfen – ganze 10 Wochen Unterricht wurden in fünf Wochen gestopft, und die letzte von der Regierung den Studenten an streikenden Schulen angebotene Gelegenheit, das Semester zu schaffen, dass aufgrund des Streiks zunächst in den Mai verlängert wurde und dann gänzlich per Dekret abgebrochen wurde.

Obwohl es die offizielle Politik von CLASSE ist, sich dem neuen Spezialgesetz zu widersetzen – das, wenn es auch schon seit über zwei Monaten auf dem Papier steht, bislang noch nicht auf Militante angewendet wurde – scheint es so, dass die Organisation sich zurückhält, Demos oder Aktionen zu organisieren, um den rentrée, die Rückkehr zum Unterricht zu blockieren. Dies ist aus ihrer Sicht vernünftig und wahrscheinlich nützlich für alle, die Rechtshilfe brauchen werden. CLASSE hat eine Menge Geld, aber der Zugang zu diesem Geld ist prekär, und es ist möglich, dass Gesetzesübertretungen mit der Einfrierung der Gelder geahndet werden würden oder durch per Bankeinzug erhobene Strafen. Dies soll nicht heißen, dass CLASSE sich davor scheut, Opposition gegen bestimmte Bestimmungen des neuen Gesetztes zu leisten. Sie wird weitermachen, störende Demos zu organisieren, die nicht mit der Polizei kooperieren, wenn es auch wahrscheinlich ist, dass sich diese Demonstrationen gegen andere Institutionen richten werden als Schulen.

Während des Sommers hat sich CLASSE darauf konzentriert, ihre Message unter den Leuten in Québec und den Studierenden von Ontario zu verbreiten. Aus einer anarchistischen Perspektive ist diese Message gelinde gesagt inadäquat. Das neue Manifest der Koalition „Teile unsere Zukunft“ – dessen englische Übersetzung noch die schlechtesten Übersetzungen Montrealer Anarchisten ziemlich gut aussehen lässt –, beinhaltet ein paar scheinheilige Bezüge auf marginalisierte Elemente in unserer Gesellschaft und andere Themen, die insbesondere Anarchisten mit aufnehmen wollten, aber das ist alles. Schlimmer noch, anstatt leidenschaftlich zu klingen, klingt es genau nach dem was es ist: dem Produkt eines Konsensprozesses unter Leuten, deren Politik- und Strategieansätze weit variieren. Folglich ist es eine Litanei des kleinsten gemeinsamen Nenners und nicht ein inspirierender Aufruf zu den Waffen.

In der Zwischenzeit läuft die Wahl an, und Pauline Marois, Vorsitzende der Parti Québécois, tut ihr bestes, um die Kraft der Streikbewegung auf ihre Wahlkampagne umzuleiten. Sie und ihr Spitzenkandidat Léo Bureau-Blouin, der bis Juni Präsident der FÉCQ war, haben die Studierendenbewegung freundlich gefragt, bitte keine Schwierigkeiten während der Kampagne zu verursachen. Dabei argumentierten sie, dass Störungen der Wiederwahlstrategie der Liberalen in die Hände spielen würden. Dies werden sie wahrscheinlich auch, aber das macht nichts. Wenn die Streikbewegung das Spezialsemester nicht wirksam sabotiert, werden jene, die sich weigern, in den Unterricht zu gehen, die Konsequenzen tragen, und das rapport de force der Bewegung wird sich maßgeblich verschlechtern, egal, welche Regierung auch immer am 4. September an die Macht kommt. Ein großer Teil der Bewegung denkt, das wichtigste sei, Charest von der Macht zu entfernen – während es für die Bewegung tatsächlich am wichtigsten wäre, auf die eigene Stärke vertrauen zu lernen.

Studierendenvereinigungen haben bereits an ein paar Schulen dafür gestimmt dem rentrée zuzustimmen. Andere, wie die am Cégep du Vieux Montréal – welche im Frühling dafür gestimmt haben, im Streik zu bleiben, bis kostenlose Bildung in Québec verwirklicht ist –, werden weiterkämpfen.

Für seinen Teil hat die CLAC eine Antiwahlpropagandakampagne gestartet und verbreitet einen Aufruf für drei Demonstrationen: eine für den Tag an dem die Wahl angekündigt wird; eine für die Vorsitzendendebatte, obwohl es anscheinend verschiedene geben wird; und eine für den Tag der Wahlen selbst.

Es ist unklar, was der Plan für die erste Woche des rentrée ist, aber es wurde eine multilinguale Webseite aufgesetzt, um Leute über die Pläne zu informieren, sobald sie beschlossen sind. Drei Cégeps öffnen am 13. August und insgesamt vierzehn in derselben Woche, aber ob die Studierendenvereinigungen ihre Streikmandate an jeder Schule bis zum 10. August verlängert haben werden oder nicht, ist noch unklar. Eine weitere Webseite wurde aufgesetzt, um Schlafplätze und Transport zu regeln.

Außerdem gab es seit dem Grand Prix zwei „nationale“ Demonstrationen, eine am 22. Juni – ein kleines und passives Event mit weniger als 100.000 Leuten – und eine weiteres am 22. Juli, welche ein bisschen größer war und ein wenig aufregender. Ein antikapitalistisches Kontingent brach vom Hauptmarsch los und widersetzte sich dem Nebengesetz P-6 und dem Spezialgesetz, obwohl die Militanten nicht mehr taten, als den Verkehr zu stören.

July 22 demonstration in Montreal: quiet, but with lovely banners. The one on the left reads: “To vote is to abdicate. To abstain is to struggle.”

Am Morgen des ersten August, kündigte Jean Charest die 40te Generalwahl von Québéc an. Zufällig war dies auch die Nacht der einhundertsten aufeinanderfolgenden Nachtdemonstration, und sowohl die Studierendenföderationen als die Nachbarschaftsversammlungen hatten geplant, der Demonstration mehr Leben zu verleihen als in der letzten Zeit. Versammlungen aus den Vierteln nördlich und östlich vom Berri Square organisierten Umzüge, welche mehr Leute versammelten, da sie durch alle Nachbarschaften zogen, bevor sie den Platz erreichten.

On the 100th night of night demos: “Villeray disobeys.”

The neighborhood contingents approaching Berri Square on August 1.

After a passive summer, things are heating up again.

Es gab Auseinandersetzungen mit der Polizei. Bankscheiben wurden eingeworfen, und Müllcontainer auf die Straße gezogen. Die Polizei setzte ihre üblichen Waffen ein: Schlagstöcke, Pfefferspray, Flashbang-Granaten. Insgesamt wurden 15 Leute verhaftet.

Der Kampf geht weiter.


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Übersetzt von et al.

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